Der Mekong – das große Wasser

23 11 2013

Saigon, 5 Uhr 30. Ein Hahn kräht mitten in der Stadt. Hält jemand Hühner auf dem Balkon? Oder wird der arme Gockel gerade auf dem Markt feilgeboten und kräht ein letztes Mal, bevor er im Kochtopf landet?

Kurz darauf erklingt eine Blaskapelle. Unter dem Fenster zieht ein Beerdigungszug vorbei. Buddhisten in grauen Gewändern gehen voraus, ein paar starke Männer tragen den Sarg, gefolgt von den Trauernden in weißer Kleidung. Den Schluss bildet dann die Kapelle, bestehend aus Blasinstrumenten und Trommeln. Sie spielen eine traurige Weise, die mir bekannt vorkommt, vielleicht aus einem Musical.

Ich packe meinen sieben Sachen, bald kommt der Bus. Drei Tage Mekongdelta und von dort weiter nach Kambodscha. Das Mekongdelta liegt etwa 200 km südwestlich von Saigon, es ist die Mündung des großen Wassers, wie der Mekong auch genannt wird.  Er entspringt fast 5000 Kilometer nördlich in den Bergen Tibets, bringt jede Menge Schlamm und Partikel mit sich, die er bei der jährlichen Überschwemmung nach dem Monsun auf den Feldern hinterlässt. Das macht sie sehr fruchtbar, und so ist das Mekongdelta die Reisschüssel Vietnams. 

Obwohl wir die Stadt schon lange hinter uns gelassen haben, sieht man am Straßenrand immer noch Häuser, Dörfer, Siedlungen. Das Mekongdelta ist dicht besiedelt, es gehört zu den bevölkerungsreichsten Regionen Vietnams. Die Landschaft wird grüner: Reisfelder. Der Guide erklärt uns, dass man bis zu dreimal im Jahr ernten kann. Der Reis wird auf Pflanzfelder gesät, und die jungen Pflanzen kommen dann auf das gewässerte Reisfeld. Der Reis lässt die Felder grün schimmern, dann werden sie sattgrün, schließlich gelb. Der Reis ist reif. Die Felder werden wieder trocken gelegt, der Reis wird geerntet, das Stroh auf den Feldern verbrannt und die Asche ist ein guter Dünger. 

Immer mehr Flüsse, Flussarme und Kanäle prägen die Landschaft. Es ist nicht ein einziger Fluss, der hier ins Meer strömt, sondern er hat gleich neun Arme und wird deshalb „neun Drachen Fluss“ genannt. In einem Dorf machen wir Halt, laufen durch Kokosfelder. Es gibt zwei Arten von Kokospalmen, erklärt der Guide, die hohen und die niedrigen Wasserkokospalmen, bei denen die typischen Blätter gleich am Boden ansetzen. Kanäle und Gräben durchziehen den schlammigen Grund, der seltsam glattgestrichen aussieht. Zweimal am Tag kommt die Flut, dann wird alles hier überschwemmt. Alle Häuser stehen Stelzen, so dass Die Flut ihnen nichts anhaben kann. Wir steigen in wacklige Bötchen, und werden durch die braunen Wasser geschippert, über die üppige grüne Vegetation ragt. Vögel schreien, Hunde bellen, riesige Schmetterlinge flattern herum. Ob es hier Krokodile gibt?

Wir machen Halt in einer Manufaktur für coconut Candy. Das Kokosmark wird geraspelt, ausgepresst und die entstandene Flüssigkeit kocht man mit Zucker zu einem zähen Sirup. Dazu geben die Frauen Erdnüsse, Ingwer, Kakao oder andere Köstlichkeiten. Dann rollen sie die zähe Masse aus, formen Würstchen, legen die in Holzformen und schneiden daraus einzelne Bonbons. Die verpacken sie praktischerweise in Reispapier – so kann man das Papier gleich mitessen. 

Wie das Reispapier gemacht wird, sehen wir in einer anderen Werkstatt : Der Reis wird ein paar Stunden eingelegt, bis er seine Stärke abgegeben hat. Die Körner selbst dienen anschließend als Viehfutter, die weiße Brühe wird auf einem feinen Netz ausgestrichen und über Wasserdampf gegart. Der hauchdünne Fladen kommt zum Trocknen in die Sonne. 

In einer Obstplantage bewundern wir besonders prächtige Exemplare von Ananas, Papaya, Mango, Drachenfrucht und anderen Früchten, die ich noch nie gesehen habe. Das Mekongdelta ist außerordentlich fruchtbar – und wir probieren von all den Köstlichkeiten. 

Auch eine Fischfarm steht auf dem Programm. Von außen würde man ein normales Schiff vermuten, vielleicht ein Hausboot. Aber das Boot ist an den Seiten offen, so dass der Mekong unter ihm durchfließt, und im Rumpf des Schiffes befindet sich das Fischgehege. Auf dem Schiff wird auch das Futter zubereitet, und während wir uns die großen Gerätschaften anschauen, öffnet der Guide eine Bodenklappe, streut eine Handvoll Fischfutter ins Wasser schon balgen sich die Fische darum, dass das Wasser meterweit aufspritzt. 

Am nächsten Morgen heißt es wieder früh aufstehen. Wir wollen zu den „Floating markets“ von Cai Rang. Straßen und Marktplätze gibt es hier nicht; das Leben spielt sich auf dem Wasser ab. Es ist eine schöne Fahrt über den breiten, trägen Fluss, auf dem die Morgensonne glitzert. Dann erreichen wir den Markt. Ein Motorboot fährt neben uns her und bietet heissen Kaffee an. Die Boote der Händler liegen tief, sie sind voller Waren. An hoch aufragenden Masten baumeln besonders schöne Exemplare der Früchte und Gemüse und zeigen an, was verkauft wird. Kartoffeln oder Kürbisse oder Melonen… 

Am Nachmittag geht es in ein Naturschutzgebiet, Tra Sun Cajuput Forest. Von einer Brücke blicken wir über eine weite Wasserfläche, aus der ein paar wenige Pflanzen und Zäune ragen. Wir sind inzwischen weiter im Norden, und hier bestimmen nicht mehr Ebbe und Flut das Leben am Mekong, sondern der jährliche Monsun. Nach der Regenzeit führt der Mekong soviel Wasser, dass große Gebiete überschwemmt werden. Jede Menge Schlamm und Sediment setzen sich ab. Und das sei genau, was die Reisfelder brauchen, erklärt der Guide.

Der Wald steht unter Wasser. Mit einem Motorboot fahren wir hinein, steigen dann in kleine Holzbarken um, die wie venezianische Gondeln zwischen den Bäumen entlanggleiten. Es ist ganz still, wenn man mal von den Geräuschen der Natur absieht, von den Insekten und vor allem den Vögeln, deren seltsame Laute durch den Wald hallen wie Liebesschreie. Die Bäume ragen schwarz, grau, grün aus dem schwarzen Wasser. Schneeweiße anmutige Vögel fliegen auf oder sitzen bewegungslos im Geäst. Alle sind wir still geworden und staunen nur noch. Wahrscheinlich steigen hier im Morgengrauen die Geister aus den Sümpfen. 

Dann öffnet sich der Wald und wir gleiten über eine große bewachsene Fläche. Blätter so groß wie Suppenteller bedecken die Oberfläche und zartrosa  Lotusblumen recken sich dem Himmel entgegen. Die Blume des Buddhismus. Am Himmel zeigt sich das erste Abendrot und die Silhouetten der großen Vögel zeichnen sich dunkel ab. 

Am dritten Tag statten wir einem Cham – Dorf einen Besuch ab. Die Cham haben diese Gegend bewohnt, bis sie von den Viet vertrieben wurden. Ürsprünglich kommen sie aus Indien, heißt es. Als ich über die wackelige Brücke vom Boot ins Stelzenhaus gehe, in dem wir erwartet werden, erinnere ich mich an die Cham-Tempel von My Son, die ich vor ein paar Wochen gesehen habe. Im Haus sitzt eine Frau mit Kopftuch an einem Webstuhl und zeigt uns, wie sie die traditionellen Tücher webt. Natürlich dürfen wir auch gern welche kaufen. Die Cham sind zum Teil Hindus, zum Teil Moslem wie in diesem Dorf und man spricht in Vietnam durchaus respektvoll von den verschiedenen „ethnic minorities“.

Ich fahre mit einem Schnellboot weiter den Mekong hinauf nach Kambodscha, zusammen mit einer Gruppe italienischer Touristen ( seven friends from Mantua), ein paar Franzosen und Holländern, Amis, Deutschen, Vietnamesen. An der kambodschanischen Grenze müssen wir an Land, einzeln durch die Passkontrolle und bekommen unser Visum. In Vietnam wurde für die Opfer von Agent Orange gesammelt und für benachteiligte Kinder, hier steht neben den Fenster des Grenzbeamten eine Sammelbox für Drogenopfer. 

Noch immer ist der Fluss beeindruckend breit, vielleicht einen Kilometer, das Wasser ist braun und wälzt sich träge zum Südchinesischen Meer. 



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2 Antworten zu “Der Mekong – das große Wasser”

  • Mathias sagt:

    Hallo liebe Bettina,
    das hört sich ja mal richtig nach entspannten Tagen mit vielen Eindrücken, Abenteuern und freundlicher Unterhaltung an. Sicher hast Du nun auch mehr gleich gesinnte Weggenossen als in China, was auch Deinen Sprachkenntnissen zu gute kommt. Bist eben nun eine richtige Weltenbummlerin.
    Schön, einfach schön! Der Neid lässt grüßen, wobei die Freude für Dich aber um Meilen überwiegt!
    Lass es Dir gut gehen und berichte uns schön weiter!
    Viele Grüße aus dem kalten Hamburg
    Mathias

  • Marita Waibel sagt:

    Liebe Bettina,
    ich genieße deine Beschreibungen!
    Liebste Grüße
    Marita

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